Krebs im Endstadium
Wie kann ich als Helferin Sterbende begleiten, die Krebs im Endstadium haben? Was kommt auf mich zu, wie zeigt sich die Erkrankung? Und wie reagiere ich darauf?
Das Flipchart, an dem wir an diesem Abend mögliche Symptome bei einer Krebserkrankung sammeln, ist schnell voll. Schmerzen, Verwirrtheit, Orientierungslosigkeit. Übelkeit, Haarausfall, Unruhe… und noch so viele mehr gehören dazu. Menschen mit Krebs im Endstadium, die wir im Hospiz begleiten, erleben viele unterschiedliche Symptome. Diese Situationen zu erleben, ist vielleicht auch für mich als Helferin bedrückend. Hier zu begleiten, kann hilflos machen. Möchte ich doch so gerne Besserung verschaffen, Leiden abnehmen. Das geht nicht immer, trotzdem kann ich etwas tun, habe ich an diesem Abend gelernt.
Uns selbst reflektieren
Denn wir haben uns bei jedem Symptom, das wir besprochen haben, zwei Fragen gestellt: Wie fühlt sich der Betroffene? Was löst der Zustand des Betroffenen in mir aus? Nur, wenn ich mir klar bin, dass die Situation auch mit mir selbst etwas machen wird, kann ich darauf vorbereitet sein, meine Grenzen erkennen. Nur so kann ich bewusst und gut unterstützen, kann Momente, die mich vielleicht hilflos machen könnten, vorher erkennen und anders damit umgehen. Dafür war dieser Abend für mich unglaublich hilfreich und wertvoll. Was löst es beispielsweise in mir aus, wenn sich jemand in meiner Anwesenheit übergeben muss? Halte ich das aus?
Schmerzen und andere Symptome aushalten
Sterbende, die wir begleiten und die an Krebs leiden, haben auch oft Schmerzen. Und auch, wenn in einem Hospiz die Linderung von Schmerzen zum höchsten Gebot gehört, der Betroffene mit Medikamenten versorgt wird, braucht es doch einen Moment, bis diese Medikamente wirken. Jemanden zu begleiten, der an starken Schmerzen leidet, kann sehr belastend sein. Mich hat fasziniert, was Christiane Möller, stellvertretende Pflegedienstleiterin im Hospiz Lebensbrücke in Flörsheim, uns dazu mit auf den Weg gegeben hat. „Denkt an eine Hebamme“, sagte sie. „Auch sie begleitet Menschen, die unter starken Schmerzen leiden. Sie ist einfach da. Sie hält mit aus, sie unterstützt. Auch sie kann die Schmerzen oft nicht nehmen.“ Dieses Bild hat mir sehr geholfen, wird mich sicher begleiten, wenn ich eine solche Situation einmal erlebe. Ich habe noch keine Vorstellung davon, wie all das auf mich wirken wird, aber ich fühle mich zumindest vorbereitet auf das, was passieren kann.
Bei Krebs im Endstadium können beispielsweise auch Gehirnmetastasen entstehen. Sie können den Menschen verändern, zu epeleptischen Anfällen führen, letztlich dann zum Tod. Vor dem Tod beginnt der Prozess des Sterbens. Viele Sterbende kommen in eine Phase der Unruhe, stehen auf, sollten sie das noch können, wollen sich unbedingt bewegen, sind oft orientierungslos, sitzten vielleicht in einem Stuhl und rudern mit den Armen um sich. All das kommt vor. Bei dem Einen dauert diese Phase länger, bei anderen kürzer. Ich ertappte mich dabei, überrascht zu sein, dass Menschen in diesem Unruhezustand versterben können, hatte ich doch eigentlich die Vorstellung, dass Menschen in einem Hospiz liegend in ihrem Bett versterben. Das ist aber nicht immer so, manche sterben auch im Sitzen in einem Sessel, wenn diese Phase der Unruhe vorbei ist. Es ist übrigens nicht unsere Aufgabe als Helfer, diese Phase zu unterbrechen. Auch hier gilt es, zu begleiten. Mit Worten erreichen wir den Menschen dann nicht mehr. Wir passen auf, dass sie sich nicht verletzen. Wir sind bei ihnen und halten mit ihnen aus.
Kleine Gesten können helfen
Wir haben an diesem Abend noch über viele andere Symptome gesprochen, von denen Sterbende, die wir begleiten und die an Krebs leiden, oft betroffen sind. Dazu gehören Atemnot, Übelkeit, den Umgang mit starkem Juckreiz, Geschmacksveränderung usw. Für viele Fälle gibt es Medikamente. Aber wir können auch mit kleinen Gesten etwas Linderung verschaffen. Ist jemandem übel, hilft, bis die Medikamente wirken, oft ein kleiner Eiswürfel, um das komische Gefühl im Mund zu lindern. Auch bei Juckreiz hilft Kälte.
Das Hineinversetzen in mein Gegenüber ist dabei entscheidend. Wie würde ich mich fühlen? Es lohnt sich auch immer, zu fragen, was dem Betroffenen das letzte Mal geholfen hat, als er in dieser Situation war. Vielleicht erinnert er sich dann zum Beispiel an eine Sitzposition, in der seine Atemnot etwas leichter zu ertragen war, oder eine Liegeposition, in der die Schmerzen besser auszuhalten waren.
Das stärkste Symptom bei Krebs ist oft ist kein körperliches
Übrigens gibt es ein Symptom, das oft alle anderen überlagert. Alles andere verstärkt. Und das ist die Angst. Ganz viele Krebspatienten haben Ängste. Diese anzuerkennen, wahrzunehmen, ernst zu nehmen, ist unglaublich wichtig.
Bei mir wirkt noch sehr nach, was wir an diesem Abend besprochen haben. Besonders deswegen, weil ich hingesehen habe. Mich hinterfragt habe: Was halte ich aus? Wie könnte ich reagieren? Schaffe ich das? Diese Reflektion ist unglaublich wichtig, um sich selbst nicht zu überfordern. Denn kein Hospizhelfer muss in einer Situation bleiben, die er nicht aushalten kann. Das hilft keinem. Ich darf im Zweifel den Raum verlassen, jemanden anderen aus dem Team bitten, zum Betroffenen zu gehen. Allein diese Erkenntnis hilft mir dabei, solche Situationen besser zu meistern.