Lass mich allein – was Trauer für meine Freundschaften bedeutete
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist das ein großer Einschnitt im Leben. Oft verändert sich alles. Auch Freundschaften leiden darunter – oder zerbrechen sogar. Wie das für mich war, erzähle ich Dir in diesem Beitrag.
Der Moment, in dem ich von der schweren Erkrankung meines Papas erfahren habe, hat für mich alles verändert. Er würde sterben, und zwar schon sehr bald. Panik stieg in mir hoch, meine Welt stand Kopf. Und von einer Sekunde auf die andere war nichts mehr, wie es einmal war. So viele Gedanken rasten durch meinen Kopf. Sollte ich noch einmal zu ihm fahren? Wie würde das werden? Papa und ich hatten nicht immer ein einfaches Verhältnis zueinander. Die Tatsache, dass er jetzt sterben sollte, löste Chaos in mir aus.
Mein Umfeld reagierte ganz unterschiedlich
Es gab Menschen, mit denen sprach ich darüber. Natürlich mit meinem Mann, meiner ältesten und besten Freundin, die mich schon in der Zeit begleitet hatte, als ich durch die vielen Konflikte mit meinem Papa ging. Die Dimension von alledem, was da über mich hereinbrach, einem Menschen zu erklären, der meinen Papa, mich und unsere Geschichte nicht kannte, hat mich aber überfordert.
Deswegen habe ich mich sehr schnell zurückgezogen. Zu viel erschien es mir, jedes Mal zu wiederholen, was diese Situation in mir auslöste. Und die Freunde um mich herum gingen ganz unterschiedlich damit um. Die Einen meldeten sich bei mir und versicherten mir, für mich da zu sein. Andere waren mit diesem Rückzug überfordert, fühlten sich persönlich angegriffen, es gab Streit, für den ich eigentlich keine Kraft hatte.
Ich musste mich auf das verlassen, was für mich in Freundschaften eine Basis ist: Dass ich genommen werde, wie ich bin. Dass Menschen, die mich wirklich schätzen und lieben, bei mir bleiben. Auch, wenn ich nicht so funktioniere wie sonst. Es gab Menschen, die haben mich überrascht. Die habe ich vorher gar nicht als so enge Freunde betrachtet. Und in dieser Ausnahmesituation für mich führten wir plötzlich Gespräche, die eine Tiefe hatten, wie ich es nie vorher für möglich gehalten hätte. Auf einmal spürte ich, dieser Mensch ist für mich da. Und bleibt, egal, ob ICH gerade für IHN auch da sein kann oder nicht.
Manchmal reicht ein tröstender Satz
Es ist schwer, mit Trauernden umzugehen. So sehr möchte man doch helfen, für den oder die andere da sein, unterstützen, den Schmerz lindern. Dass das kaum geht, dass einem der Schmerz nicht genommen werden kann, hat meine engste Freundin von Beginn an verstanden. Für sie war der Umgang mit mir bestimmt auch nicht immer leicht. Weil ich immer das Gleiche erzählte. Weil ich so oft, wenn sie mich fragte „Wie geht es Dir?“ sagen musste „nicht besser“. Aber sie hat das mit mir ausgehalten. Und hat mir mit einem einzigen, fast banalen, Satz immer wieder Mut gemacht. Ganz oft sagte sie mit einem liebevollen, verständnisvollen Lächeln zu mir „Morgen ist ein neuer Tag“, wenn ich einen besonders schlechten Tag hinter mir hatte. Und damit hatte sie recht – der nächste Tag konnte schon ganz anders aussehen als der heutige. Es sind solch kleine Gesten, die mir Hoffnung gemacht haben.
Schmerzvolle Trennungen – positive Überraschungen
Andere Freundschaften sind unwiederbringlich zerbrochen. Weil ich in dieser Zeit nicht mehr wie vorher war. In Trauergruppen habe ich gelernt, dass es auch anderen so geht. Dass sich Freundschaften in einer solchen Situation auf den Prüfstand stellen. Dass klar wird, wer bleibt und wer geht. Wer bei sich ist, und wer einen als Trauernden aushalten kann. Viele sind überfordert. Und das verstehe ich. Ich habe mich verändert. Ich wollte nicht mehr lachen, weggehen, meine Gedanken drehten sich immerzu um eines: Die Trauer um meinen Vater. Das als Außenstehender, der vielleicht selbst noch keinen Verlust erlebt hat, auszuhalten, ist nicht einfach. Macht hilflos, ratlos und löst Enttäuschung aus.
Und andererseits gab es Menschen, die bedingungslos bei mir blieben. Die mir schrieben, dass sie meinen Rückzug schade finden, dass sie mir gerne helfen würden, dass sie da sind, wenn ich sie brauche. Sie haben keine Ansprüche gestellt, sie haben sich gemeldet, um mir zu zeigen, hallo, ich bin da für Dich. Und zwar bedingungslos, bis heute.
Mein Trauerschneckenhaus
Lange habe ich über all das nachgedacht und für mich ein Bild gefunden, das die Situation damals für mich gut beschreibt: Ich war fest eingerollt in meinem Trauerschneckenhaus. Ich wollte nichts hören, nichts sehen, nichts an mich heranlassen. Draußen vor der Schneckenhaustür standen eine Reihe von Menschen. Freunde, Bekannte, Kollegen, Verwandte. Manche warteten ratlos einige Zeit und als ich nicht herauskam, gingen sie einfach fort. Es gab andere, die trommelten laut an die Tür, riefen „Hey! Ich brauche Dich, werde endlich wieder normal!“. Je lauter ich sie rufen hörte, desto kleiner rollte ich mich zusammen. Und dann gab es die, die auf der kleinen Bank vor meinem Haus Platz nahmen. Die ab und zu leise anklopften, nur um zu sagen „Ich bin für Dich da“ – egal, ob ich die Tür öffnete oder nicht. Die mir kleine Geschenke, liebe Worte auf Papier geschrieben durch den Türschlitz schoben und dann wieder auf der Bank Platz nahmen. Und irgendwann, als ich die Tür langsam einen Spalt öffnete, waren sie da. Als ich in die Sonne blinzelte, meine Augen verheult waren, ich zerzaust und fertig aussah. Sie lächelten mich an, nahmen mich an die Hand und gingen mit mir meinen Weg weiter – auch, wenn ich noch wackelig auf den Beinen war. Und die, die damals bei mir waren, auf dem Bänkchen vor dem Haus, die sind es heute noch. Und dafür bin ich unglaublich dankbar. Sie erleben mich wieder als einen Menschen, der für sie da sein kann, der lacht, Freude spürt, Freundschaft leben kann.
Ich habe viel über Freundschaft gelernt
Ich habe aus dieser Zeit die Gewissheit mitgenommen, dass es nicht viele Menschen braucht, um sich wirklich geborgen und aufgefangen zu fühlen. Die Freundschaften, die all das überstanden haben, sind nun noch sehr viel tiefer, als sie es vorher schon waren. Ich spüre sehr viel Dankbarkeit gegenüber diesen Menschen, die mich nicht haben hängen lassen, die mich ausgehalten haben, als Trauernde. Die mich immer wieder haben erzählen lassen, was passiert war, die aber auch ausgehalten haben, wenn mir nur nach Schweigen war.
Vielleicht hast Du gerade selbst jemanden in Deinem Umfeld, der mit einem Verlust zu kämpfen hat. Dann hilft Dir vielleicht mein Blick auf die Dinge. Du kannst Dir auch mal diesen Artikel anschauen, in dem Du viele konkrete Tipps im Umgang mit Trauernden findest.
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