Hospizarbeit

Wie schaffe ich das? – Von emotionaler Stärke im Leben und im Sterben

Voller Stärke wächst diese kleine Blume aus einem trockenen, unwegsamen Boden. Wie kann es uns in einer Krise gelingen, trotz allem zu wachsen?

Auf diesen Seminarabend war ich besonders gespannt – sollten wir als Hospizhelfer*innen doch ganz bestimmt „krisenfest“ und emotional stark sein für diesen Job. Das ist auch so. Was braucht es dafür? – habe ich mich gefragt. Gibt es Tricks, die ich anwenden kann, um mit Krisen besser umgehen zu können? Wie verhalte ich mich? Und dann wurde ich überrascht: Es ging nämlich nicht nur um uns, sondern auch um die Menschen, die wir begleiten. Emotionale Stärke, also „Resilienz“ bei Sterbenden aktivieren? Wie soll das gehen? Über spannende Erkenntnisse dazu erzähle ich Dir in diesem Beitrag.

„Der Begriff Resilienz kommt aus der Physik“ erklärt uns Dr. Armin Wunder, Facharzt für Allgemeinmedizin und Lehrbeauftragter an der Goethe-Uni in Frankfurt, der den Seminarabend leitet. „Er beschreibt Material, das verändert wurde und wieder in seinen Urzustand zurückgeht“. Unter Resilienz versteht man ganz allgemein den Zustand eines Systems, mit Veränderungen umzugehen. Diese Veränderungen begegnen mir als Hospizhelferin bei meiner Aufgabe wahrscheinlich täglich. So kann derjenige, den ich gestern besucht, mit dem ich vielleicht noch ein paar nette Worte gewechselt habe, heute schon nicht mehr ansprechbar sein.

Was fördert meine emotionale Stärke?


Für den Sterbenden verändert sich zum Ende seines Lebens alles, für seine Angehörigen genauso. Und wie wird es für mich sein, wenn dieser Mensch dann auf einmal überhaupt nicht mehr da ist? Wenn sein Bett leer, er seinen letzten Weg gegangen ist? Erlebe ich das als Krise und wenn ja, wie komme ich da wieder raus? Gelingt es mir vielleicht sogar, daran zu wachsen? Ich lerne: so unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich ist auch unser Umgang mit Krisen. Die Einen meistern diese gut, die anderen entwickeln sogar körperliche Symptome. Der Umgang mit Stress lässt sich aber trainieren und unsere Resilienz hängt von bestimmten Faktoren ab. So wird meine Resilienz zum Beispiel gestärkt, wenn ich von Menschen umgeben bin, die mich wertschätzen. Ich fühle mich emotional gestärkt, wenn da jemand ist, der an mich glaubt.

Aber wie kann ich Ressourcen zur Resilienz aktivieren? Und jetzt kommen wir zum für mich spannendsten Punkt. Denn ab diesem Zeitpunkt legt Dr. Wunder den Fokus nicht mehr nur auf uns als Helferinnen und Helfer sondern gleichzeitig auf die Sterbenden. Grundlage für eine „gute“ Resilienz und emotionale Stärke sind unter anderen diese Werte:

Optimismus


Ganz ehrlich: Da muss ich erstmal schlucken. Wie soll das gehen? Fröhlich und optimistisch am Bett eines Sterbenden sitzen? Aber darum geht es nicht. Optimismus kann schon bedeuten zu vermitteln, dass Schmerzen, die der Sterbende hat, gelindert werden können. Dass es Medikamente gibt, die helfen können. Daran darf auch – in diesem Fall optimistisch – der Sterbende glauben.

Akzeptanz


Wenn es uns gelingt, die Situation so anzunehmen, wie sie ist, kommen wir leichter da durch. Wir sparen Kräfte, wenn wir nicht versuchen, gegen etwas anzukämpfen, das wir nicht ändern können. Ich stelle mir das übrigens sehr herausfordernd vor…

Lösungsorientierung


Aus der Akzeptanz folgt, dass man sich mit der Situation auseinandersetzt, in der man nun ist und aktiv wird und Dinge angeht. Sterbende klären oft noch Vieles. Sie räumen auf, sei es „materiell“ oder auch emotional. Meine Aufgabe als Begleiterin ist dann, schlicht zuzuhören. Da zu sein. Zu unterstützen bei dem, was sie noch angehen wollen.

Selbstwirksamkeit


Das Aktivieren von Selbstwirksamkeit bei einem Sterbenden bedeutet, ihm das Gefühl zu geben, dass er oder sie noch Einfluss nehmen kann, trotz einer ausweglos erscheinenden Situation. Beispiel dafür sind ebenfalls Schmerzen: Wenn sich Betroffene äußern, Schmerzen benennen – soweit sie das noch können – können sie Einfluss darauf nehmen, dass ihnen geholfen wird. Und in einem Hospiz werden solche Äußerungen sehr ernst genommen, es wird auf die Betroffenen sehr individuell eingegangen.

Beziehungen gestalten


„Ich traue mich, um Hilfe zu bitten“ – schaffen es Betroffene, Helfer*innen an sich heranzulassen, kann ihr Leiden möglicherweise gemildert werden.

Zukunft gestalten


Auch wieder so ein Wert, bei dem ich ehrlich gesagt einen Moment brauchte, um zu begreifen, wie er für einen Sterbenden funktionieren soll. Welche Zukunft? Und ich lerne, es geht um die ganz nahe Zukunft. Es geht darum, was sich der Betroffene morgen zum Mittagessen wünscht. Es geht darum, zu äußern, wenn er oder sie Durst oder das Bedürfnis nach frischer Luft hat. Das gilt natürlich nur für diejenigen, die das überhaupt noch können.



Ich bin nachdenklich und beeindruckt zugleich, als ich diese Werte höre und Dr. Armin Wunder sie auf Sterbende „anwendet“. Ich stelle mir nicht leicht vor, sie zu aktivieren. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich noch die Kraft hätte, sie zu leben, wenn ich wüsste, dass ich bald sterben muss. Ich bin gespannt, auf welche Menschen ich treffen werde, wie sie damit umgehen und ob es mir gelingt, sie dabei zu unterstützen, ihre Resilienz zu aktivieren.

Für uns als Helfer gilt auch, was für jeden gilt: Wer fragt, der führt. Wir können lenken, wenn auch sehr vorsichtig. Wir können fragen, ohne den Betroffenen etwas überzustülpen, wir können sie an die Hand nehmen und begleiten. Wir können mit ihnen kleine Schritte gehen. Im Hospiz sind das natürlich viel kleinere Schritte als im „normalen“ Leben. Aber jeder Schritt ist wertvoll, erfordert er doch umso mehr Kraft.

Und wenn ich mir all diese Werte ansehe, kann ich sie natürlich auch auf meine emotionale Situation als Helferin übertragen. Auf den Moment, wenn ich selbst einmal überfordert sein sollte. Wenn es mich vielleicht umhaut, wenn jemand verstirbt, den ich länger begleitet habe. Wenn ich nicht begreifen kann, mich hilflos fühle. Dann werde ich mich erinnern an das, was ich an diesem Abend gelernt habe.

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