Trauer

Trauer ist wie Social Distancing – nur für den Rest des Lebens

Dieses Osterfest ist für uns alle anders, als wir es kennen. Geprägt von Social Distancing, Isolation und Ungewissheit. Für trauernde Menschen sind Feiertage oft ohnehin schwer. Und in dieser außergewöhnlichen Situation fühlen sie sich oft besonders isoliert und unverstanden. Warum das so ist und wie sich das zeigt, darüber schreibe ich in diesem Blogartikel.

Die Idee zu diesem Artikel kam mir beim Austausch mit einer lieben Bekannten. Wir kennen uns aus einer kleinen virtuellen Trauergruppe. Sie schickte mir eine Sprachnachricht, um ihre Gedanken zur aktuellen Situation mit mir zu teilen. Es machte sie traurig, von ihrem Umfeld so oft zu hören, dass dieses Ostern ja so anders sei. „Ich kann meine Familie gar nicht richtig sehen, das ist richtig blöd“, sagte man ihr. Und Wut stieg in ihr auf. Denn sie, die ihre Mama verloren hat, kennt dieses Gefühl allzu gut. Mit dem Unterschied, dass es für sie kein Zurück mehr gibt. Es gibt kein „nach der Isolation“. Kein „wir sehen uns wieder“. Social Distancing für immer.

Trauernde in der Isolation



Dazu kommt, dass sich Trauernde in diesen Tagen oft noch isolierter fühlen als sonst. Das, was vielen Kraft gibt, zum Beispiel der Besuch in einer Trauergruppe, das Treffen mit Freunden, die Ablenkung im Büro – all das fällt weg. Für Trauernde ist ein geregelter Tagesablauf oft sehr wichtig. Es ist wichtig, dass sie Ansprechpartner*innen finden, die empathisch auf sie eingehen, ihnen zuhören. Zum Glück gibt es im Moment viele Trauerbegleiter*innen, die ihr Angebot an die aktuelle Situation angepasst haben und zum Beispiel Online-Gespräche anbieten. Trotzdem fühlen sich viele Trauernde isoliert. Im Extremfall müssen sie sich genau jetzt in dieser Krisenzeit von einem geliebten Menschen verabschieden und haben keine Möglichkeit dazu. Eine Ausnahmesituation für alle.


Was gäbe ich für nur einen Anruf!



Aber zurück zu meiner Bekannten. Ich habe viel über ihre Worte nachgedacht. Und ich kann ihre Gefühle sehr gut nachvollziehen. Was würde ich geben, für nur einen Anruf bei meinem Papa. Könnte ich ihm nur einen Satz sagen, würde mir das schon unglaublich viel bedeuten. Aber das geht nicht mehr. Ich sehe ihn nie wieder, höre ihn nie wieder, es gibt keine Videocalls, keine Briefe, nichts. Unsere Verbindung bleibt abgeschnitten, und zwar so lange ich lebe. Für mich bedeutet das, dass ich Familien, die gerade traurig sind, weil sie sich über die Ostertage nicht sehen können, gut verstehen kann. Denn ich kenne diesen Schmerz. Viele Menschen erleben im Moment einen Verlust: Den Verlust sozialer Kontakte, den Verlust des Alltags, den Verlust von Gesundheit, den Verlust des normalen Osterfestes, so wie man es kennt und sich wünscht. Sich nicht umarmen zu können, dieses schöne Wetter nicht im Kreise der Familie genießen zu können, nicht gemeinsam lachen, essen, feiern, eine schöne Zeit verbringen zu können, das tut weh. Das verstehe und respektiere ich.


Alle Gefühle sind okay



Dass ich das verstehe und respektiere, bedeutet aber nicht, dass ich nicht trotzdem wütend bin. Oder, ja, auch das: neidisch. Neidisch darauf, dass die Isolation Videoanrufe zulässt. Neidisch darauf, dass diejenigen, die sich noch haben, telefonieren und sich austauschen können. Diese Gefühle dürfen sein. Sie dürfen durchlebt und gefühlt werden. Wenn wir sie verdrängen oder uns schlecht fühlen deswegen, ist niemandem damit geholfen.

Mir selbst ist es bislang noch nicht begegnet, dass sich Bekannte oder Freunde darüber beschwert hätten, ihre Familie über die Ostertage nicht zu sehen. Ich habe trotzdem darüber nachgedacht, wie ich reagieren würde. Ich würde ehrlich sagen, was diese Worte in mir auslösen. Ich würde sagen, dass mich das verletzt. Ich würde sagen, dass ich das Gefühl kenne und verstehe, aber dass es bei mir eben kein Ende nehmen wird. Ich würde meinem Gegenüber wohl ganz viel Dankbarkeit dafür wünschen, dass er oder sie die Familie noch hat – wenn auch in ganz anderer Form als an den Ostertragen bisher. Ich finde einen offenen und authentischen Umgang miteinander enorm wichtig. Niemand muss sich für seine Gefühle schämen – auch nicht für Wut oder Neid! Sondern es ist wichtig, dass wir uns mitteilen, unserem Gegenüber spiegeln, was seine oder ihre Worte gerade auslösen. Das darf sein! Nur so kann es uns gelingen, mehr Verständnis füreinander zu schaffen. Denn diejenigen, die sich gerade darüber beschweren, ihre Familie jetzt nicht sehen zu können, haben vielleicht selbst noch keinen Verlust erlebt. Und können sich diesen Schmerz gar nicht vorstellen. Sie wissen nicht, was sie mit ihren Aussagen in trauernden Menschen auslösen. Also würde ich es ihnen sagen. Und auf Verständnis hoffen. Wenn das nicht kommt, habe ich zumindest meinen Standpunkt klargemacht – das finde ich wichtig und das darf jede und jeder tun.

Ich wünsche Dir, dass Du gut durch diese Tage kommst. Mit all den Gefühlen, die da kommen mögen. Ich wünsche Dir, dass Du sie durchleben und durchfühlen kannst. Dass Du in Deinem Umfeld Menschen hast, die Dir auch in der Isolation zuhören und für Dich da sind. Und dass Du zwischendurch vielleicht auch ein ganz kleines bisschen Freude spürst.

6 Comments

  • Angelika

    Das sind sehr Ware Worte , du sprichst mir von der Seele . Habe vor 1 Jahr meinen Mann mit 58 Jahren ganz plötzlich verloren . Meine Arbeit war mein einziger halt ( arbeite im Kindergarten ) und da ich momentan fast nicht arbeiten kann kommt alles wieder hoch und bekomme auch wieder körperliche Schmerzen . Ich kann es auch nicht mehr hören ( sehe meine Familie jetzt mal einige Wochen nicht ) Lg bleib gesund

    • Sabine

      Liebe Angelika,

      das glaube ich sofort. Vor allem, wenn Dir dann noch der Halt in Form Deiner Arbeit fehlt, ist es sicher besonders schwer. Noch ein Verlust mehr, noch weniger Grundvertrauen, noch eine neue Herausforderung. Ich schicke Dir dafür ganz ganz viel Kraft. Alles Liebe für Dich, bleib auch Du gesund

  • Monika

    Auch mich bewegen diese Worte im tiefsten Innern! Ich habe vor 10 Monaten meinen geliebten Vater verloren, und es ist seitdem kein Tag vergangen, an dem ich nicht morgens und abends hemmungslos geweint habe. Aber meine Kinder und Enkel haben mich immer aufgefangen. Und dann die lieben Freunde…all das ist jetzt vorbei! Sicherlich tun Anrufe und Gespräche via Skype gut…aber es ist kein Ersatz für ein Gespräch unter 4 Augen, ganz zu schweigen von einer herzlichen Umarmung. Ich habe mich in meinem Leben noch nie so einsam und verlassen gefühlt! Ich hoffe sehr, dass dieser ganze „Spuk“ bald ein Ende hat! Allen Mitbetroffenen wünsche ich viel Kraft und Zuversicht!

    • Sabine

      Liebe Monika,

      diese Einsamkeit tut unglaublich weh, ich kenne das. Da vermisst man nicht nur den geliebten Menschen, sondern auch echten Trost, Nähe und eben eine Umarmung.
      Auch, wenn es etwas anderes ist: fühle Dich dennoch virtuell von mir fest umarmt. Wenn ich könnte, würde ich diese Krise einfach wegzaubern. Hoffen wir, sie geht ganz schnell vorüber. Alles Liebe für Dich

  • Anna Remerij

    Ich habe kurz vor corona mein Mann an plötzliche Herztod verloren. Ich fühle mich wenn ich nicht arbeite (Krankenschwester) sehr einsam zur Zeit. Keiner zum anlehnen oder mal über dein Tag reden. 5 Wochen nach mein Mann starb meine Mutter und kurz danach fing es mit corona an. Ich fühle mich ein bisschen wie in ein Alptraum woraus ich einfach nicht erwache.

    • Sabine

      Liebe Anna,

      da kommt gerade sehr sehr viel zusammen und das tut mir unglaublich leid. Ich wünsche Dir, dass Du zwischendurch Momente hast, in denen die Trauer Raum findet. In denen Du weinen kannst. Und ein Stück weit begreifen, was da gerade passiert. Ich hoffe, Du kannst Dir Unterstützung holen, denn durch eine so emotional fordernde Zeit musst Du nicht alleine durch. Bitte melde Dich, wenn Du dazu Fragen hast, ich kann versuchen, Dir Hilfe zu vermitteln. Halte durch, ich grüße Dich ganz lieb

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