Trauer

Die Traurigkeit im Gepäck


Ich lasse meinen Blick in die Ferne schweifen an diesem wunderschönen Ort. Ich kann gefühlt hunderte Kilometer weit blicken. Nichts versperrt meine Sicht. Ich sehe schneebedeckte Berggipfel, den stahlblauen Himmel. Plötzlich spüre ich einen Druck auf meiner Brust. Mein Hals zieht sich zu. Ich kann nicht mehr richtig atmen. Mein Magen dreht sich um. Was verdammt nochmal ist nur los?


Ich liebe es, in den Bergen unterwegs zu sein. Und doch passiert es mir gerade hier immer wieder, dass ich Momente wie diesen erlebe. Weil ich hier besonders verletzlich bin. Weil der Alltag komplett weggeräumt ist. Das kann schön sein, aber auch tiefsitzende Gefühle nach oben bringen. Eigentlich dachte ich, ich hätte gut auf mich geachtet auf dieser Wanderung. Und trotzdem bekomme ich dieses Gefühl von Beklemmung, mein Magen zieht sich zusammen, ich spüre Schwindel. Muss stehenbleiben. Was soll das jetzt?

Etwas wühlt mich auf


Letzte Nacht habe ich von Papa geträumt. Es war so real. Ich durfte noch einmal zu ihm. Er lag in einem Krankenbett. Ich nahm seine Hand. Und weinte bitterlich. Denn es ging ihm furchtbar schlecht. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, ich wurde wach, vom Weinen. Als ich wieder einschlief, war er tot, lag reglos auf dem Bett und bewegte sich nicht mehr. Ich stand an diesem Morgen schon mit einem Kloß im Hals auf, nahm mir aber vor, mich dem Traum erst einmal nicht weiter zu widmen. Es passte gerade einfach nicht in den Tag. Vielleicht kennst Du das. Vielleicht kennst Du auch diese Angst davor, sich in ein Gefühl in der Trauer voll hineinzugeben. Das tut eben weh, auch mir, auch heute noch.

Die Traurigkeit im Gepäck


Aber das Gefühl begleitete mich auf den Berg. Es blieb nicht im Tal sondern hatte sich gefühlt in meinen Rucksack gesetzt. Ich trug es immer bei mir, unbemerkt. Bis es sich meldete. Dieser Anflug von Panik, dieses Ziehen in der Brust, die Atemlosigkeit – das war schlicht die Traurigkeit, die meine Aufmerksamkeit forderte. Und sich körperlich zeigte. Sie sitzt oft genau dort – in der Brust. Im Hals. Und tippt uns mehr oder weniger zärtlich auf die Schulter mit dem vorsichtigen Hinweis „hey, kannst Du mich bitte mal wahrnehmen?“. Also versuchte ich das. Mir wurde in diesem Moment so klar, dass ich sie zu lange im Rucksack gelassen, nicht wahrgenommen hatte. Mir kamen die Tränen. Und ich ließ sie laufen, während ich langsam Schritt für Schritt weiterging. Die Berge verbinden mich auch sehr mit meinem Papa, waren wir doch früher oft gemeinsam hier. Ich spürte ihn voller Dankbarkeit und gleichzeitig tiefer Traurigkeit an meiner Seite. Und ließ die Tränen weiter laufen. Zur Traurigkeit gesellte sich auch ein bißchen Wut. „Warum muss das denn genau jetzt passieren? Hier ist alles so schön, ich will das genießen und nicht traurig sein“, meldete sie sich leicht angefressen. Auch die Wut darf sein. Darf sich melden und „meckern“. Je mehr ich es schaffe, mich auf meine Gefühle einzulassen, desto besser kann ich mit ihnen umgehen.

Die Trauer ist immer mit dabei


Es flossen viele Tränen auf dieser Wanderung. Viel Schmerz habe ich gespürt, trotz all der Schönheit. Aber all das war wieder so symbolisch dafür, wie Trauer eben ist: Sie begleitet mich immer. In den schönen Momenten und in den schrecklichen. Sie ist immer an meiner Seite. Sie ist ein Teil von mir. Und so schwer es auch ist, wenn ich sie durchfühle, geht es mir danach besser. Weinen kann dabei sehr befreiend sein, das habe ich in diesem Blogartikel schon angesprochen. Der Druck auf meiner Brust und der Kloß im Hals lösten sich ganz langsam. Ich konnte wieder freier atmen. Ich konnte, die Tränen herausgeweint, die Natur noch viel intensiver wahrnehmen. Wenn ich immer mehr lerne zu akzeptieren, dass die Gefühle der Trauer auch noch Jahre nach Papas Tod ihre Aufmerksamkeit einfordern, desto besser kann ich sie annehmen. Sie sind ein Teil von mir geworden.

Deswegen räume ich bei der nächsten Wanderung der Wut, der Traurigkeit, vielleicht auch der Angst, aber auch die Freude von vornherein ein Plätzchen in meinem Rucksack ein. Ich trage sie mit mir, ganz bewusst. Und wenn sie meine Aufmerksamkeit möchten, werde ich sie ihnen bewusst schenken und danach ein klein wenig erleichtert sein.

One Comment

  • Ulla

    Vielen Dank, liebe Sabine!
    Genauso geht es mir auch.
    Am 3.Juli war der traurige Jahrestag, seitdem begleitet mich mein Trauermonster wieder bei jedem Schritt!
    Im Moment gehe ich jeden Tag schwimmen 🏊🏼‍♀️, das hilft ein wenig!
    Liebste Grüße und eine Umarmung aus Berlin 😘 von
    Ulla 🤓

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