Trauer

Die Trauer zulassen? – Meine fünf Gründe dafür

Eine Hand hält eine Blume, es signalisiert, dass die Trauer etwas schönes, heilsames sein kann und dass es Gründe dafür gibt, die Trauer zuzulassen.


Knapp zwei Jahre ist es nun her, dass mein Papa verstorben ist. Und zu Beginn der Trauer um ihn hätte ich nie gedacht, einmal einen Artikel mit dieser Überschrift zu verfassen. Und doch tue ich es heute, denn in den letzten Jahren habe ich viel über die Trauer gelernt. Für mich war es ein harter Weg, sie irgendwann anzunehmen und zuzulassen. Heute ist sie fester Bestandteil meines Lebens. Meine fünf Gründe dafür, die Trauer zuzulassen, kannst Du in diesem Artikel lesen.

Mir ist die Trauer in ganz unterschiedlichen Formen begegnet. Als Monster, das mir den Boden unter den Füßen wegreißt. Als Wellen, die über mich hereinbrechen, die mir die Luft zum Atmen nehmen, die mir die Orientierung rauben und mein Gefühl für mich selbst. Gerade zu Beginn habe ich die Trauer nicht als etwas Liebevolles, Sinnvolles erlebt. Sondern ich habe viel Kraft darauf verwendet, dagegen anzukämpfen. Gegen die Tiefs, in die mich die Trauer gestürzt hat. Gegen das Gefühl der Ohnmacht, das ich so oft spürte, weil mir kein Alltag mehr möglich war. Dieser Kampf hat mich Kräfte gekostet, die ich gar nicht hatte.

Und wenn ich einmal einen Moment durchatmen konnte, habe ich oft voller Angst auf die nächste Trauerwelle geblickt. Irgendwann habe ich aber erkannt, dass all der Kampf gegen die Trauer gar nichts bringt. Dass sie mich immer begleiten wird. Erst in dem Moment, als ich für mich akzeptieren konnte, dass die Trauer ein Leben lang bleibt, konnte ich sie Stück für Stück auch zulassen. Bewusst. Auch vorher hatte ich sie zugelassen, da aber, weil ich es MUSSTE. Es gibt ganz viele Gründe, die dafür sprechen, die Trauer zuzulassen. Meine fünf wichtigsten Gründe sind diese:

Erstens: Trauer kommt sowieso


Für mich war es ein Trugschluss zu glauben, ich muss Trauer nicht leben, wenn ich sie verdränge. Denn die Trauer sucht sich ihren Weg. Ich hab es mit Verdrängen versucht – allerdings vergeblich. Ich spürte unglaublichen Druck in mir aufsteigen, je öfter ich mir sagte „ich ignoriere dieses Gefühl jetzt, dann geht es schon wieder weg“. Das hat überhaupt nicht geklappt. Trauer ist Energie, die danach verlangt, freigesetzt zu werden.

Erst, als ich akzeptiert habe, dass die Trauer ohnehin kommen wird, egal, was ich tue, fiel mir der Umgang etwas leichter. Es tat immer noch weh. Die Wellen brachen immer noch über mich herein und nahmen mir die Luft zum Atmen. Aber ich verwendete meine Kraft nicht mehr darauf, gegen die Wellen anzugehen. Sondern ich legte mich auf den Rücken, ließ mich von der Welle tragen, immer noch traurig und wehmütig. Aber ich hatte mehr Kraft, mich über Wasser zu halten und einmal Luft zu schnappen als in der Zeit, als ich immer nur gegen die Welle ankämpfte. Und mir wurde mit jeder Welle klar: Mal ist es ganz schlimm und kaum auszuhalten. Mal aber gibt es auch Momente, in denen ist es okay. Ruhiger. Die Trauer kommt, geht aber auch wieder.

Zweitens: Trauer verbindet


Ich habe an insgesamt drei Trauergruppen teilgenommen. Für mich war diese Zeit unglaublich hilfreich, denn ich fühlte mich wie in einem „Nest“. Geborgen, verstanden, aufgefangen. Zusammen mit Menschen, denen es ähnlich ging wie mir. Die sich fragten, ob die Trauer irgendwann besser wird, die sich in ihrem neuen Leben ohne ihren Partner, ihre Partnerin, einen Elternteil oder einen anderen geliebten Menschen einrichten mussten.

Ich habe mich verstanden gefühlt. In den Trauergruppen habe ich eine sehr starke Verbindung zu den anderen gespürt. Denn alle dort begegnen sich in einer absoluten Ausnahmesituation. Hören einander zu, bauen Vertrauen auf und unterstützen sich gegenseitig. Du wirst „ausgehalten“ mit Deinem Schmerz. Oberflächlichkeiten haben hier keinen Platz, sondern tiefgründige Gespräche, die eine starke Verbindung schaffen.

Trauergruppen werden übrigens beispielsweise von Hospizvereinen angeboten, wie zum Beispiel dem Hospizverein Auxilium in Wiesbaden oder dem Hospizverein Lebensbrücke in Flörsheim.

Drittens: Trauer hat meine Intuition (wieder) geweckt


In der Trauer habe ich viele Dinge gelernt. Unter anderem, nein zu sagen. Ich habe gelernt, mich von Menschen und Dingen zu distanzieren, die mir nicht gut taten. Einfach, weil ich nicht anders konnte. Ich konnte mich nicht mit Sachen auseinandersetzen, für die ich keine Kraft hatte. Die Trauer hat mir sehr klar gemacht „ich möchte, dass Du mich wahrnimmst, lass bitte alles andere, was Dich belastet, beiseite“. Ich habe mich leiten lassen von der Trauer und habe damit viel mehr zu mir selbst gefunden.

Zu meiner Intuition gehörte übrigens auch, dass ich das unstillbare Bedürfnis hatte, zu putzen und aufzuräumen. Ich konnte mir gar nicht erklären, warum. Ich bin zwar nicht grundsätzlich schlampig, aber überpenibel ordentlich jetzt auch nicht. In der ersten Zeit meiner Trauer habe ich gründlich aufgeräumt, ständig geputzt, neu sortiert, alles musste seinen Platz haben. Tagelang war das meine einzige Beschäftigung.

Das habe ich ganz intuitiv gemacht. Kurz bevor ich dachte, ich hätte vielleicht ein Putzproblem entwickelt, kam zufällig die Sprache in einer meiner Trauergruppen darauf. „Wenn es Euch nicht gut geht“, sagte meine Trauerbegleiterin damals „fangt an, Ecken zu putzen“. Ich musste schmunzeln, weil ich mich so darin wiedererkannte. Sie erklärte dann auch, warum das helfen kann: „Verliert man einen geliebten Menschen, stellt das alles auf den Kopf. Ihr werdet durchgeschüttelt, in Euch herrscht absolutes Chaos. Oft haben wir dann das Bedürfnis nach Ordnung. So schaffen wir uns im Außen das, was wir im Inneren gerade nicht haben.“ Ich fand diese Erklärung absolut einleuchtend und war dankbar für meine Intuition, die mich ein kleines Stückchen mehr in Richtung dieser Ordnung geführt hatte.

Viertens: Trauer zulassen kann heilsam sein


Dies zu begreifen, hat mich viele Monate gekostet. Denn lange Zeit spürte ich wenig von so etwas wie Heilung. Davon, an meiner Trauer vielleicht sogar zu wachsen. Ich habe mich immer und immer wieder gefragt, was all das soll. Warum ich das durchmachen muss, wozu das alles gut sein soll. Irgendwann spürte ich aber, dass ich mit jedem Tief, das ich bewusst durchschritten hatte, ein klein wenig weitergekommen war.

Auf meinem Trauerweg, auf meinem Weg zur Heilung. Nur, wenn ich wirklich hingesehen hatte, mit allen Konsequenzen, mit vielen Tränen, mit bewusster Auseinandersetzung mit dem, was passiert war, hatte ich danach das Gefühl, ein Stück geheilt zu sein. Weinen kann sehr heilsam sein. Ich hatte selbst Phasen, da wollten gar keine Tränen fließen. Und Phasen, da hörte es gar nicht mehr auf. Und so schlimm, wie sich jedes Weinen gerade zu Beginn anfühlte, so heilsam wurde es von Mal zu Mal. „Wieder einen Schritt getan“, dachte ich mir danach.

Fünftens: Trauer ist Ausdruck von Liebe


Und dieser Punkt ist für mich einer der Wichtigsten. Die Trauer ist ja im Grunde nichts anderes als der Ausdruck über den Schmerz, den wir empfinden, weil wir einen Menschen verloren haben. Schmerz über einen Verlust können wir nur empfinden, wenn wir jemanden wirklich lieben. Und deswegen ist die Trauer auch Ausdruck von Liebe. Ich möchte nicht, dass die Liebe zu meinem Papa irgendwann endet, sie wird immer da sein, so lange ich lebe. Und weil die Trauer so eng verbunden ist mit dieser Liebe, will ich sie annehmen, will ihr Raum geben, will sie fühlen, so wie ich die Liebe fühle.

P.S.


Zum Schluss ist mir noch eines wichtig zu sagen: Ich weiß nicht, in welcher Phase Deiner Trauer Du gerade bist, wenn Du meinen Artikel liest. Hätte ich zu Beginn meiner Trauer diese fünf Gründe genannt bekommen, hätte ich vielleicht müde mit den Schultern gezuckt und mir gedacht „mag alles sein. Für mich fühlt sich der Schmerz trotzdem grausam an. Und ich will ihn nicht zulassen. Punkt.“. Vielleicht geht es Dir auch so. Dann gib Dir Zeit.

Trauer ist außerdem sehr individuell. Vielleicht hast Du ganz andere Gründe dafür, die Trauer zuzulassen oder eben nicht? Ich kann und will Dir nicht sagen, was für Dich richtig oder falsch ist, ich möchte Dir nur davon erzählen, wie sich all das für mich angefühlt hat. Vielleicht fühlst Du Dich davon inspiriert, vielleicht stimmst Du mir zu, vielleicht bist Du aber auch in einer ganz anderen Phase der Trauer und all das ist noch weit weg von Dir. Wenn Du Dich mit mir darüber austauschen magst, mir gerne Deine Gründe für das Zulassen (oder auch nicht) der Trauer mitteilen magst, schick mir gerne eine Nachricht oder poste einen Kommentar unter diesen Artikel, ich freue mich darüber!

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