Trauer

Abschied und Bestattung in Zeiten von Corona

Friedhof Gräber Bestattung Abschied
Bild von congerdesign auf Pixabay

Abschied von einem geliebten Menschen nehmen zu müssen, ist schon in Zeiten ohne Corona für die Angehörigen eine große Herausforderung. Nun leben wir in einer weltweiten Krise mit Ausgangsbeschränkungen und stark eingeschränkten Kontakten. Das hat auch Einfluss auf Bestattungen und Trauer.

Ich habe mit der Trauerbegleiterin, freien Trauerrednerin und Bestatterin Christine Kempkes in einem Interview über dieses Thema gesprochen.


Ich bin ehrlich: für mich ist die Bestattung bislang kein wichtiges Ritual beim Abschied meiner Verstorbenen gewesen. Aber Trauer ist eben sehr individuell und ich weiß, dass es für viele andere enorm wichtig ist, von ihrem Verstorbenen würdevoll Abschied nehmen zu können. Nun sehe ich täglich all die Nachrichten über Corona und stoße immer wieder auf Berichte darüber, wie sehr sich auch Beisetzungen verändert haben. Sie laufen im Moment oft komplett anders ab als normal: Keine Umarmungen, Abstand halten, nur eine begrenzte Anzahl an Teilnehmer*innen ist erlaubt. Teilweise ist gar kein Abschied möglich.


Und ich frage mich: Was muss das wohl für die Angehörigen bedeuten? Wie sehr schmerzt es, nicht dabei sein zu können, wenn Sarg oder Urne beigesetzt werden? Oder was bedeutet es, wenn es keine Möglichkeit gibt, vom Verstorbenen direkt noch einmal Abschied zu nehmen, am Sarg oder dem Krankenbett?


Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu bekommen, habe ich mir eine sehr einfühlsame und kompetente Expertin an die Seite geholt: Christine Kempkes ist Trauerbegleiterin und Bestatterin. Liebe Christine, danke, dass Du Dir Zeit für meine Fragen nimmst.

Warum ist es so wichtig für Hinterbliebene, Abschied von ihrem Verstorbenen nehmen zu können? Warum ist das wichtig für den Verlauf der Trauer?


Es gibt verschiedene Aufgaben, die das Leben uns in der Verarbeitung eines Verlustes stellt. Eine davon ist es, den Tod zu realisieren, also wirklich anzuerkennen, dass dieser Mensch tatsächlich verstorben ist. Bei einer Abschiednahme am offenen Sarg oder am Krankenbett nehmen Trauernde wahr, dass der geliebte Mensch eben nicht schläft, sondern sich kalt anfühlt, der Brustkorb sich nicht mehr hebt und senkt. Und vor allem können sie auch sehen, dass der Verstorbene zwar anders, aber friedlich aussieht, denn das ist bei den allermeisten Menschen der Fall.


Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht sehr banal an, jedoch erlebe ich, dass viele meiner Klient*innen noch Monate nach dem Tod das Gefühl haben, ihr geliebter Mensch könnte doch morgen wieder am Frühstückstisch sitzen. Gerade dann, wenn der Tod sehr plötzlich eingetreten ist, bleibt er unwirklich und es entsteht das Gefühl, alles sei ein schlechter Film, aus dem man irgendwann bestimmt wieder aufwachen wird.


Neben der Abschiednahme sind die Trauerfeier und die Beisetzung, also das Erleben, dass ein Sarg oder eine Urne in die Erde gelassen werden oder Asche verstreut wird, weitere Elemente, die auf die Realisierung des Todes einzahlen.

Was können Menschen, die aktuell davon betroffen sind, sich also nicht direkt verabschieden können, tun? Welche Alternativen gibt es?


Beim Bestatter sind derzeit Abschiednahmen am offenen Sarg untersagt. Wenn möglich, sollte daher der Sterbeort für eine ausführliche Abschiednahme genutzt werden. Zuhause ist das gar kein Problem, denn in den meisten Bundesländern dürfen Verstorbene bis zu 36 Stunden dort bleiben. Was viele nicht wissen: es ist auch möglich, den Verstorbenen aus dem Krankenhaus oder Pflegeheim für bis zu 36 Stunden nach Hause zu holen. Dort können die Angehörigen ihren geliebten Menschen selbst waschen und ankleiden, gemeinsam beten, singen oder Geschichten aus dem Leben erzählen. Das mag sich spooky anhören, weil wir diese Form der Verabschiedung heute nicht mehr kennen. Erfahrungsgemäß ist es jedoch eine Zeit, der ein besonderer Zauber innewohnt und in der viel Ruhe und Frieden in den Familien einkehrt.


Auch im Krankenhaus, Pflegeheim oder Hospiz sind Abschiednahmen möglich. Jedoch kocht da nach meiner Wahrnehmung gerade jede Einrichtung ihr eigenes Süppchen und die Angehörigen sind auf die jeweiligen Regelungen angewiesen.


Ist eine Abschiednahme nicht oder nur in kleinstem Kreis möglich gewesen, kann der Bestatter Fotos des Verstorbenen im Sarg machen. Die Angehörigen können ihn bitten, Schmuck, Fotos, gemalte Bilder der Enkelkinder oder Gegenstände mit Bezug zum Leben des Verstorbenen in den Sarg beizugeben und auch davon Fotos zu machen.


Bezüglich der Trauerfeiern und Beisetzung bestehen leider auch starke Einschränkungen. Zumeist ist die Teilnehmerzahl auf max. 10 – 15 Personen beschränkt, auf manchen Friedhöfen sind sogar nur 5 Personen zugelassen. Zudem dürfen Trauerfeiern oft nicht mehr in den Kirchen oder Trauerhallen stattfinden (oder die Stühle sind reduziert und stehen sehr weit voneinander entfernt). Doch auch an der frischen Luft vor der Trauerhalle oder direkt am Grab sind nach meiner Erfahrung würdevolle Abschiedsfeiern möglich.


Was jetzt im großen Familien- und Freundeskreis nicht möglich ist, kann natürlich später nachgeholt werden. Anstelle des Beerdigungskaffees könnten die Angehörigen und Freunde zu einer späteren Zeit im Jahr, vielleicht am Geburtstag des Verstorbenen oder einem anderen Jahrestag zusammenkommen, ein Bild des Verstorbenen aufstellen und ihn durch Erzählungen noch einmal ganz in ihre Mitte holen. In England gibt es den schönen Brauch – eigentlich am Tag der Beisetzung – dass jeder Gast eine Anekdote erzählt und anschließend das Glas erhoben wird! Viele Trauerredner stellen ihre Rede in Schriftform zur Verfügung, sodass diese an einer solchen Nachfeier auch noch einmal vorgelesen werden könnte. Ich selbst habe kürzlich meine Trauerrede im Nachgang als mp3 eingesprochen und mit Fotos von der Grabdekoration, den Blumen und der Urne zu einem Video zusammengeschnitten. Die Familie möchte im Spätsommer die Raue (Anm.: = Leichenschmaus) nachholen und bei der Gelegenheit das Video abspielen.

Du bist Trauerbegleiterin und Bestatterin. Wie hat sich Dein Arbeitsalltag durch Corona verändert?


Im Bestattungshaus gab es in den ersten Tagen nach dem Lockdown täglich neue Regelungen. Inzwischen hat sich alles etwas eingespielt. Wir versuchen, in jedem individuellen Fall kreative Lösungen zu finden, die dem Verstorbenen und den Angehörigen gerecht werden. Ganz praktisch desinfizieren wir täglich mehrmals die Tische in den Beratungsräumen und arbeiten in getrennten Teams.


In der Trauerbegleitung gibt es viel zu tun, denn zu der ohnehin bestehenden Dünnhäutigkeit durch die Trauer kommen nun gesundheitliche, finanzielle oder zukunftsbezogene Ängste. Ich begleite mehr als vorher via Skype oder Telefon, die persönlichen Begleitungen finden nicht mehr in meinem Praxisraum, sondern bei einem Spaziergang im Wald statt. Bei dem schönen Wetter der letzten Wochen ist das eine bereichernde Erfahrung, denn auch in der Natur sind kreative Arbeitsmethoden möglich! Das gehört sicher zu den Dingen, die ich nach Corona häufiger beibehalten möchte.

Danke, liebe Christine, für Deine interessanten Antworten.

Kreativität ist also gefragt. Und sicher viel Empathie, Zuwendung und Verständnis für trauernde Menschen, die sich im Moment in einer absoluten Ausnahmesituation befinden.

Wenn Du mehr über Christine Kempkes erfahren willst, findest Du hier ihre Website. Außerdem hat Christine einen tollen Podcast zum Thema Trauer, Sterben und Tod und ist bei Facebook und Instagram aktiv.


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